Rainer Esser
Der ZEIT Verlag: Erfolg durch Innovationen
Keynote von Dr. Rainer Esser, Geschäftsführer DIE ZEIT, bei den Medientagen Wien am 25. September 2013
Wir sind glückliche Menschen, weil wir in einer so spannenden und interessanten Branche arbeiten, die über das Internet und die Social Media-Kanäle viele neue Möglichkeiten für zusätzliche Geschäfte gewonnen hat. Wir können in Kaffeehäusern sitzen und dort ganz traditionell Zeitungen und Zeitschriften lesen. Allerdings gibt es selbst in bekannten Traditionshäusern bereits auch digitales Lesen. Wir müssen nur ein Endgerät – das iPad, das Smartphone oder ein Tablet – mitnehmen und schon können wir lesen.
Das Wiener Kaffeehaus vereint also beides: Tradition und Innovation — ähnlich wie DIE ZEIT. Es gibt das Blatt seit 1946 und ist zum ersten Mal mit 8 Seiten für 40 Pfennig erschienen. Damals wurde das Papier vor allem eingesetzt, um Kohlköpfe und Fische einzupacken. Heute wird es sogar auch gelesen. DIE ZEIT hat heute eine Auflage von über 500.000 jede Woche, ist häufig über 100 Seiten dick geworden, dazu kommt noch das ZEITmagazin. Auch der Preis hat sich leicht nach oben bewegt. Wir leben von der Innovation. Das heißt, die neuen Möglichkeiten, die das Internet bietet, stehen für uns ganz oben. Wir haben mit unserer Markenerweiterung klassisch gestartet, indem wir Regionalausgaben gebracht haben. Die Seiten, die uns am meisten Freude machen, sind die Österreich-Seiten. Als wir vor 7 Jahren starteten, war die ZEIT-Auflage bei 10.000 Stück in Österreich. Heute ist sie jede Woche bei über 20.000 und bietet damit fast 100.000 Menschen in Österreich ein zusätzliches Sprachrohr für ihre Diskussionen und vielen Kunden, die hochwertige Produkte anbieten, eine wertvolle neue Werbeplattform.
Man kann auch im gesättigten Printmarkt mit einer Reihe neuer Angebote Lesern Freude bereiten, Geld verdienen und wachsen, zum Beispiel mit Magazinen zu Kernkompetenzen unseres Blattes: ZEIT WISSEN, ZEIT GESCHICHTE, ZEIT CAMPUS für Studierende oder ZEIT LEO für Kinder. Wenn wir Kinder als Leser haben wollen, müssen wir früh anfangen, um sie für unsere Marke zu begeistern. Wir haben sehr viele und erfolgreiche Kinderprodukte, die wir im E‑Commerce vertreiben – Kinderfilme, Kinderbücher, viele Vorlesebücher, Kinderkrimis, Kindermusik etc. Wir sind stark mit “ZEIT für die Schule” und veröffentlichen einmal im Jahr den ZEIT Studienführer, ein Magazin für Heranwachsende, in dem sie alles über das künftige Studieren erfahren, alle Studienfächer, viele Tipps plus ein sehr detailliertes Hochschul-Ranking, in dem alle Universitäten des deutschsprachigen Raumes mit ihren Anzeigen vertreten sind – profitabel und hochbeliebt.
Im Bereich Merchandising gibt es eine ganze Reihe von Produkten, die aus dem Herzen der ZEIT kommen. Dazu zählen Literatur-Reihen oder Musik-Reihen, die mit Kommentaren von ZEIT-Redakteuren veredelt sind und von ZEIT-Redakteuren ausgesucht werden. Das vertreiben wir online im E‑Commerce. Eine weitere Säule heißt Veranstaltungen. Wir machen über 120 Veranstaltungen, Konferenzen und Literaturzirkel im Jahr. Hinzu kommen ZEIT Akademie, ZEIT Reisen und Corporate Publishing. Mit diesem Angebot, das wir um DIE ZEIT herum aufgebaut haben, können wir unseren Kunden „Bundles“ anbieten. Dazu zählt auch Sponsoring von “ZEIT für die Schule”, wo wir über 200.000 Gymnasiasten und über 10.000 Lehrer jedes Jahr vier Wochen lang mit der ZEIT und Unterrichtsmaterial versorgen. Diese Range, die von Magazinen über E‑Commerce, Veranstaltungen, Corporate Publishing und Bildungsangebote usw. reicht, hat dazu beigetragen, dass wir unseren Umsatz in den letzten 12 Jahren mehr als verdoppelt haben und unsere Auflage auf ein historisches Hoch von 520.000 Exemplaren gewachsen ist.
Online ist wichtig. Wir leben sehr stark von Display Advertising bei ZEIT ONLINE. Sie werden immer wieder hören, dass das Display Advertising stark zurückgeht, weil die Tausend-Kontakt-Preise (TKP) stark zurückgehen. Das stimmt, weil das Inventar einfach riesengroß ist. Nur sind wir bei der ZEIT in einem besonderen Qualitätsmarkt und werden zusammen mit der FAZ, der Süddeutschen Zeitung und dem Handelsblatt vermarktet. Wir verkaufen diese Belegungseinheiten gemeinsam und können deshalb einen hohen TKP beibehalten. Wir wachsen in diesem Jahr bei Online Display mit über 30 Prozent.
E‑Publishing ist eine wunderbare neue Möglichkeit, unsere Inhalte zu unseren Lesern zu bringen. Wir haben inzwischen mit unserer App und unserem PDF auf dem Kindle und anderen Lesegeräten fast 30.000 zusätzliche digitale Abonnenten. Auch das Rubrikengeschäft ist sehr wichtig. DIE ZEIT hat einen großen Stellenmarkt im Hochschulbereich, der zunehmend von Print zu Online wandert. Da haben wir ein Auffangbecken mit unserem Hochschulportal academics, das mit weitem Abstand Marktführer in diesem Bereich ist. E‑Commerce wird immer wichtiger für uns. Unser ganzes Merchandising — alle Produkte, die wir um DIE ZEIT herum aufgebaut haben — können wir wunderbar online verkaufen. Schließlich holen wir inzwischen originär etwa 20 Prozent unserer neuen Jahres-Abos zu einem sehr günstigen CPO (Anmerkung: Cost-per-Order) herein. Auch wenn der Bereich „Online“ bestehende Geschäftsmodelle ein wenig tangiert, sind die Möglichkeiten, um zusätzliches Geschäft zu machen, ungleich größer.
Ein kleiner Blick auf die Online-Erlöse, wie sie sich über die Jahre entwickelt haben: Es werden dieses Jahr über 22 Millionen Euro bei einem Gesamtumsatz von 165 Millionen Euro sein. Das sind 15 Prozent und damit noch nicht dramatisch viel. Aber es ist eben der Bereich, der am stärksten wächst: das ist ZEIT ONLINE, unsere Stellenbörse academics, unsere Stipendien-Plattform e‑fellows, wo High-Potentials mit Unternehmen zusammen gebracht werden und unser E‑Commerce-Bereich.
Paid Content ist nicht die Goldmine, aber es könnte ein zusätzlicher Weg werden, um Online Geld zu verdienen. In den USA sind die Zeitungen, die Paid Content eingeführt haben, binnen eines Jahres von 150 auf 300 angestiegen. Die E‑Book-Verkäufe in Deutschland sind auch dramatisch gewachsen. Sie sehen daran: Die digitale Nutzung von Qualitätsinhalten nimmt zu. Wir sollten dort, wo es möglich ist, ein kleines Kassenhäuschen aufstellen. Möglich ist es zum Beispiel bei der New York Times. Die New York Times hatte schon vor 7 oder 8 Jahren “Time Select” eingeführt. Da gab es die besten Artikel von den namhaftesten Autoren hinter einer Paywall. Das hat damals nicht so funktioniert, weil die New York Times eine steigende Reichweite besser monetarisieren konnte und deshalb dieses Geschäftsmodell bevorzugte. Jetzt machen sie beides. Sie halten ihre sehr große Online-Reichweite und haben gleichzeitig eine Paywall eingeführt. Es wird geschätzt, dass sie dadurch 150 bis 160 Millionen Dollar an zusätzlichen Vertriebserlösen in diesem Jahr hereinholen.
Die Financial Times in England ist mit ihrem „Metered Model“ ähnlich erfolgreich. Hier ist es noch ein wenig subtiler. Sie müssen sich, nachdem Sie den ersten, zweiten Artikel gesehen haben, registrieren. Das Unternehmen bekommt ihre E‑Mail-Adresse, was natürlich sehr nützlich für die Abo-Akquise und für das Anbieten von anderen Produkten aus dem Haus sein kann. Auch hier ist die Zahl derjenigen, die das Print- und das Digitalabo gemeinsam haben, deutlich größer als die Zahl der reinen Print-Abonnenten. Also auch hier ein echtes Erfolgsmodell. Die glückliche Zeitung, die schon 1999 Paid Content eingeführt hat, ist das Wall Street Journal mit dem Hybrid-Modell. Sie bekommen einen Großteil der Artikel kostenlos, aber für die Artikel, die dann wirklich wertvolle Nachrichten enthalten, müssen Sie zahlen. Also alle drei sind erfolgreiche Modelle. In den USA hat die Gannet-Group flächenweit bei all ihren 90 Regionalzeitungen die Paywall eingeführt. Bei Regionalzeitungen funktioniert es auch, weil es dort originäre Nachrichten aus dem lokalen Bereich gibt, die kein anderer bieten kann. Dafür zahlen Sie dann auch.
Einige Beispiele aus England, die nicht so glücklich laufen:
The Guardian ist eine große stolze Zeitung, die früher auch Geld verdient hat und eine hohe Auflage von einer halben Million hatte. The Guardian stellt alle Inhalte kostenlos ins Netz. Das sind Idealisten, die glauben „Reichweite ist alles, koste es was es wolle“. Es kostet ziemlich viel, weil die Printauflage des Guardian leider sehr gesunken ist. Sie verlieren jedes Jahr 10 Prozent an Auflage und sind jetzt noch bei knapp 200.000. Online haben sie eine gigantische Reichweite, die sie aber über Display-Erlöse nicht so monetarisieren können, um das ganze Mutterschiff stabil zu halten. Ergebnis: Die Guardian Gruppe macht jedes Jahr ordentlich Verlust und muss jetzt stark Kosten reduzieren, was der Gesamtmarke und dann auch der Reichweite nicht zuträglich ist. Bei The Sun ist es etwas anders. Die haben ihre gesamten digitalen Inhalte kostenpflichtig gemacht. Das hat die Reichweite dramatisch einbrechen lassen. Ob das ein Erfolg wird, muss sich noch zeigen. Dann haben wir The Times. Die Times hat auch vom ersten Artikel an alles kostenpflichtig gestellt. Auch hier ist die Reichweite dramatisch eingebrochen, aber sie sind offenbar nicht unglücklich damit und sagen, dass sie schon 130.000 digitale Abos haben. Hier sind die Display-Preise dann auch dramatisch in den Keller gegangen. Ob Paid Content bei uns funktioniert, muss sich noch zeigen.
Es gibt kein Erfolgsmodell. Wir müssen immer wieder schnell, in kleinen Einheiten und günstig Experimente und Innovationen vorantreiben. Wir müssen schauen, dass wir schnell neue Pläne machen — nicht große Businesspläne, nicht mit großen Mannschaften, sondern mit kleinen Einheiten. Wenn es nicht klappt, dann schnell wieder abdrehen. Bei neuen Produkten oder Services müssen wir beim Print-Verlagshaus darauf achten, dass alles für alle Kanäle gedacht wird. Wenn wir eine Online-Stellenbörse haben, muss man sich die auch am Smartphone ansehen können. Wenn wir E‑Commerce vorantreiben wollen, muss das auch fürs Smartphone und für das iPad geeignet sein. Ein anderer Bereich: Content und Advertising wachsen digital immer stärker zusammen. Das hören Chefredakteure sehr ungern. Das soll auch nicht heißen, dass Content und Advertising vermischt werden — für ein Qualitätsprodukt wie DIE ZEIT wäre das der Tod. Aber sie werden immer mehr thematisch zusammengeführt. Die New York Times hat ein interessantes Modell namens „Ricochet“. Da können Werbetreibende ihre Werbung neben vom Inhalt her passende Texte der New York Times platzieren. Das Ganze bekommt eine URL und der Kunde kann die URL über Social Media-Kanäle vertreiben. Andere wie die Washington Post bieten die Anzeige und den Content zusammen in einem Kasten an. Technik spielt in den Projekten meistens eine sehr wichtige Rolle. Früher war die Technik in den Verlagen relativ überschaubar. Das waren die Jungs, die die Computer zusammenschraubten und den Stecker richtig reinsteckten. Heute ist die Technik zentraler Bestandteil des Online-Geschäfts.
Schließlich: Um unsere journalistischen Produkte kontinuierlich zu optimieren, haben wir Online die großartige Chance des Data-Mining: wir können die Gewohnheiten unserer User viel besser herausfinden und über Targeting und Retargeting unsere eigenen Produkte besser anbieten. Letztlich können wir nicht alles selber machen, ganz im Gegenteil. Online müssen wir viel stärker kooperieren, viel offener und kollegialer sein, viel stärker mit allen Playern im Markt die Gedanken und die Geschäftsmodelle, die Erfolge und Misserfolge austauschen. In der Zukunft wird alles deutlich transparenter, schneller und unterhaltsamer.
Zum Autor: Dr. Rainer Esser ist Geschäftsführer ZEIT Verlag und DvH Medien GmbH